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Freitag, 26. Oktober 2007

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... mit den Worten: "Ein realisischer, aber letztendlich optimistischer Report."

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Where does your shit go to?

Designerklos und Slumwasser

8.8.2007

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Siebzehn Kläranlagen arbeiten für Neu Delhi, es gibt Umweltmaßnahmen wie den "Yamuna Action Plan" zur Reinigung des Flusses und Millionen Rupees aus der Staatskasse – und trotzdem stinkt die Yamuna zum Himmel. In Indien, wo das hinduistische Denken um rein und unrein kreist, will von Exkrementen möglichst niemand etwas wissen. Und allzu viele Bürger/innen folgen dem Motto: "Flush and forget with style". Für exklusives Toiletten-Design aus Europa gibt die urbane Elite mittlerweile ein Vermögen aus, so ein Verkäufer in der Doku "Faecal Attraction". Man genießt den Luxus von zehn Litern sauberem Wasser pro Spülung, während in den Slums Tausende bei der Verteilung von Trinkwasser täglich kämpfen müssen, um beim Schlangestehen nicht totgetrampelt zu werden. Die illegal wuchernden Siedlungen der Bitterarmen entlang der Yamuna im Zentrum wurden im Auftrag der Stadtverwaltung an die Stadtränder verbannt. Das Argument lautete, sie verdreckten den Fluss mit ihren Exkrementen.

Spül und weg?

"Wohin verschwinden Ihre Fäkalien?", fragt Pradip Saha, Redakteur des Umweltmagazins Earth Matters in Neu Delhi, und will wissen, wieso die Yamuna so extrem verdreckt ist und folgt den verschlungen Wegen des "Shits" in den Fluss, der in der indischen Hauptstadt Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt. Für Kameramann Sudhir Aggarwal waren es die schlimmsten Dreharbeiten, entstanden ist mit "Faecal Attraction" (2006) eine ungewöhnliche Dokumentation: "Ich wusste ja Bescheid, trotzdem war es deprimierend zu sehen, dass wir zu so was imstande sind. Wir drehten im stechenden Sonnenlicht, um nichts zu schönen. Mit den Füßen stand ich im Fluss, der eigentlich nur noch fließender Müll war. Der Gestank war so unbeschreiblich ekelhaft, dass er mich wochenlang verfolgt hat. Meine Schuhe habe ich weggeschmissen."

Incredible India

Durchschnittlich 80 Prozent von Indiens Stadtmüll verschwindet in den Flüssen; meint: menschlicher Müll wie Fäkalien, Hausrat, Seifenwasser als auch chemischer Müll kleinerer Industrien, die nicht ausgelagert wurden. Für Papier, Glas und Metall gibt es ein gut funktionierendes Recyclingsystem. Doch nur 45 Prozent aller Wohnhäuser sind an eine Kanalisation mit Kläranlagen angeschlossen. Dort aber sind die Mieten so teuer, dass der Großteil der Bevölkerung sie sich einfach nicht leisten kann. Ihr Kot landet notgedrungen vor der eigenen Tür, bevor Abwässerrinnen ihn direkt in den Fluss befördern. "Incredible India", den Werbeslogan der Tourismusindustrie, kommentiert Saha ironisch im Film: im Bild der Stolz der Nation, der Taj Mahal vor einer Müllhalde. So sieht der Fluss nämlich in der Stadt Agra nahe Neu Delhi aus, wo das Weltwunder muslimischer Baukunst steht. "Heute holen wir unser Trinkwasser für die Städte von immer weiter her, dann sammeln wir die dreckigen Abwässer und lassen sie irgendwo weit weg von der Stadt in den Fluss ab", sagt Sanita Narain, Direktorin des Centre for Science and Environment in Neu Delhi, einer der bekanntesten Umweltorganisationen. Meint: Das saubere Wasser des Flusses wird gestaut und dann verbraucht. Zurück bekommt der Fluss dafür den Dreck. Selbst die städtischen Kläranlagen sind ineffektiv, weil sie sich häufig an Standorten befinden, wo sie unausgelastet sind, sie leiden an kaputten Rohrleitungen und sind mangels Stromausfällen außer Betrieb. "Die Behörden kommen mit dem Wachstum der Städte nicht mit. In den nächsten Jahren werden mehrere Millionen Menschen vom Land in die Städte abwandern. Die hat niemand in der Planung berücksichtigt. Daher brauchen wir Privatinitiativen, kleine Filteranlagen, die billig und ökologisch sind", meint Aggarwal.

Die Wasserknappheit wurde erst in den letzten Jahren zum heißen Medienthema. Dazu trug der Skandal um die Coca-Cola-Fabrik im Dorf Plachimada im südindischen Unionsstaat Kerala bei. Der Film "The Bitter Drink", erstellt 2003 von den Aktivisten P. Baburaj und C. Saratchandran, zeigt auf, wie das Unternehmen pro Tag 500.000 Liter Wasser abpumpte – bis die einheimischen Bauern auf dem Trockenen saßen. Der Grundwasserspiegel sank so tief, dass für die Bewässerung ihrer Reisfelder kein Wasser mehr da war. "Eine Reihe Filme setzt sich jetzt endlich mit den Wasserproblemen auseinander", sagt Sudhir Aggarwal. "Wir haben keine Grüne Partei, aber Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie zum Beispiel das Centre for Science and Environment." Sie agieren als "watchdogs" der Zivilgesellschaft. Durch ihr Engagement, indem sie Filme wie "Faecal Attraction" für die Öffentlichkeit produzieren, entstehe Umweltbewusstsein. Dazu tragen auch "Films for Freedom" in Bombay bei, die Plattform wirbt für Dokus wie "The Bitter Drink".

Kein brauner Saft mehr

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Der Unionsstaat Kerala ist heute Coke-frei. Die Fabrik musste dicht machen, nachdem die Bauern geklagt und das Gericht ihnen Recht gab. Meist jedoch funktioniert die Rechtsprechung nicht so reibungslos, setzen sich die Mächtigen und deren Interessen durch; ein weiteres Thema mehrerer ambitionierter Staudamm-Filme über soziales Unrecht bei Entwicklungsprojekten, die über die Köpfe der Betroffenen hinweg geplant wurden, wie etwa die Channel-4-Produktion "Follow the Rainbow" von 1993 von der Enthüllungsjournalistin Vasudha Josi über den Widerstand der Bauern gegen den Suvarnarekha-Staudamm in Bihar. Wem gehört der Fluss? Wer darf sein Wasser kontrollieren? Wer hat in einer Demokratie das Recht, zugunsten einer Gruppe und zum Nachteil einer anderen zu entscheiden?

Gewinner und Verlierer

250.000 Menschen und 245 Dörfer sollen verschwinden, damit Menschen in Dürre-Gebieten im Gujarat Wasser erhalten. Der Dokumentarfilm "Drowned Out" (Überflutet, 2004), produziert von Spanner Films in London, sucht Antworten und bezeugt die aktuellen Ereignisse am Narmada-Staudamm, dem mit 3.000 Dämmen und zahlreichen Kanälen größten Flussprojekt aller Zeiten.

Im Dorf Jalsindhi bangen Menschen wie Luhariya Sonkaria vor der großen Flut. Regisseurin Franny Armstrong begleitete den traditionellen Medizinmann in diesem hochdramatischen Augenblick und blickte dabei in Etappen zurück auf die Entstehung des Damms. Luhariya lebt unweit des umstrittenen Teilstücks, dem Sardar Sarowar Mega-Damm im Unionsstaat Gujarat. Dort wird die Narmada in einem riesigen Reservoir gestaut, wodurch der Wasserpegel ansteigt und die Dörfer am Ufer überschwemmt. Armstrong vermittelt anschaulich den Konflikt zwischen Damm-Befürwortern und Ureinwohnern, deren traditionelle Lebensweise dem modernen Indien geopfert werden soll. Zum Beispiel zeigt sie das Schicksal vertriebener Bauern, die mit wenig ertragreichem Ackerland abgespeist wurden und jetzt in Zementbaracken leben. Neben ihnen kommen prominente Aktivistinnen des Staudamm-Widerstands wie Medha Patkar und die Autorin Arundhati Roy zu Wort. Das Bild wird erst vollständig durch die Meinung von Weltbank-Experten, Ingenieuren und Politikern und macht "Drowned Out" zu einem besonders glaubwürdigen Dokument.

Obwohl die Umweltzerstörung im boomenden Schwellenland außer Kontrolle geraten ist – kleine Hoffnungsschimmer zeigen sich: "Es gibt mehr kleine NGOs wie We for the Yamuna, in denen sich junge Menschen engagieren, sie machen zum Beispiel Flussführungen", sagt Sudhir Aggarwal. Und sogar Premierminister Manmohan Singh rief beim Weltwassertag sein Land dazu auf, endlich eine sparsame Wassertoilette zu erfinden. Das spricht dafür, dass die Zukunft des Subkontinents sauberer wird.

Susanne Gupta ist freie Autorin und dreht immer wieder in Indien Dokumentarfilme.

Fotos: ©Verleih

www.freedomfilmsindia.org
Eine unabhängige Filminitiative
www.cseindia.org
Centre for Science and Environment
www.narmada.org
Friends of the River Narmada
www.spannerfilms.net
Filmproduktion
www.swfc.org.in/weforyamuna.html
We for Yamuna


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Mittwoch, 24. Oktober 2007